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Kirchenfenster von Heinrich Bruppacher

1. Nüscheler, Gotteshäuser der Schweiz, Seite 259 f
     2. Protokoll der Kirchenpflege Dorf, Band 1850/1921 und Kirchengutsrechnung 1875


Zu den farbigen Fenstern von Heinrich Bruppacher

Die Kirche von Dorf, deren Innenraum vor der Renovation von zwinglianischer Nüchternheit war, hat farbige Fenster erhalten und ist damit anders geworden.

Ich kann mir vorstellen - und ich habe es sagen hören -, dass für manchen das Gesicht der Kirche unvertraut geworden ist. Er vermisst die frühere Helligkeit und findet sich im gedämpften farbigen Licht noch nicht zurecht. Er argwöhnt vielleicht, dass diese Sinnenfreude - denn die Farbe, das soll nicht abgestritten werden, wirkt auf die Sinne nicht in eine evangelische Kirche gehöre. Die Kirche ist aber auch mit einer neuen Orgel ausgestattet worden, und welche Kunst, wenn nicht die Musik, vermag am unmittelbarsten an unsere Sinne zu rühren, uns zu erheben und mitzureissen, ohne dass der Verstand als Vermittler dazwischen tritt? Man wird antworten, dass eben das evangelische Kirchenlied etwas Be-sonderes sei und sich von den liturgischen Gesängen der katholischen Kirche wesentlich unterscheide.

Es ist also nicht die Musik an sich, die darüber entscheidet, ob sie dem evangelischen Wesen gemäss sei, sondern ihr Geist. Und warum sollte es sich bei der Malerei anders verhalten? Darum wollen wir uns hier mit den künstlerischen Seite der Fenster befassen, um von da zurück zuschliessen auf den Geist, in dem sie entstanden sind, und der von ihnen ausgehen soll.

Fenster sind zuerst nichts anderes als öffnungen in der Wand, die das Licht hereinlassen, um dem Raum Helligkeit zu geben.

Dann aber, besonders seit das durchsichtige Glas bekannt ist, erlauben sie auch den Blick nach aus-sen, auf die Landschaft, die Strasse. Es sind Löcher, die der Aussenwelt Einlass geben ins Gebäude. Nicht so die farbigen Kirchenfenster. Diese schliessen das Innere ab vom Aussen. Sie sind zur Wand geworden. Allerdings zu einer ganz besonderen Art Wand: es sind leuchtende Wandflächen, die das Licht von aussen empfangen und es umwandeln zu einem Glanz, der von der Fläche selbst auszugehen scheint. Glasmalerei strahlt von innen heraus in einem eigenen Licht.

Die Fenster des christlichen Gotteshauses waren nie öffnungen nach aussen, sondern von Anfang an durchscheinende Wandflächen, sei es aus dünnen Alabasterplatten oder später, seit dem 11. Jahrhundert, Einlegearbeiten aus farbigen Glasstücken, welche in Bleistege gefasst waren. Dies eben ist die so genannte Glasmalerei, die im eigentlichen Sinne gar keine Malerei ist, sondern eine Art durchscheinendes Mosaik aus Glasstücken. Die Farbe wird also nicht auf das Glas gemalt. Der Künstler sucht Gläser aus, die in der Masse gefärbt sind, schneidet sie der Form nach und fügt sie aneinander. Es bleibt ihm bloss die Möglichkeit, durch Auftragen und späteres Einbrennen von Schwarz die Zeichnung zu umreissen oder an einzelnen Stellen das Glas zu trüben und so Licht wegzunehmen, d.h. die Schatten entstehen zu lassen. Das tiefste Schwarz ergibt sich dort, wo das Material völlig undurchsichtig ist, nämlich bei den Bleistegen, welche die Gläser einfassen. Sie bestimmen die Einteilung und damit den Rhythmus der Scheibe. Blei ist nun aber ein weiches Metall, das grossen Gewichten nicht standzuhalten vermag. Darum müssen die einzelnen grösseren Fensterteile, man nennt sie "panneaux", getragen werden von einem stabilen Gerüst von Trägern aus Schmiedeeisen. Diese sind robuster und dicker als die Bleistege und schaffen die ausgedehntesten und kräftigsten Dunkelheiten. So ergibt sich aus den handwerklichen Erfordernissen von selbst die Struktur der Fenster: ein starkes, undurchsichtiges Tragwerk aus Eisenbändern, ein schwarzes Netzwerk aus Bleiruten und ein Spiel von farbig aufleuchtenden Glasstücken, die vom Hellen ins Dunkle abgetönt sind.

Diesen Gegebenheiten hat der Künstler Rechnung zu tragen. Wohl schränken sie seine Freiheit ein, geben aber der Arbeit Richtung und Halt, fordern Zucht ab, verlangen klare Entscheidungen und hand-werkliche Meisterschaft. Die Bleistege gliedern die Fläche wie in einem musikalischen Werk die Takte den Ablauf der Zeit. Sie geben dem Fenster den Rhythmus. Die Farbe dagegen ist gleich den Tönen, die zu Klängen zusammenströmen und die Melodie bilden. Ein Kirchenfenster ist gebaut wie eine Fuge.

Wenn, wie in Dorf, eine ganze Reihe von Fenstern geschaffen werden muss, stellt sich die Aufgabe, einen in sich geschlossenen Bilderkreis zu gestalten; in der Musik würde man von einem Zyklus sprechen. Es tritt noch ein neues Element hinzu, das des Raumes, denn die Fenster stehen um den Betrachter herum, erschliessen sich erst ganz, wenn man die Kirche durchschreitet. Es sind also viele Elemente in übereinstimmung zu bringen, bis sich der erstrebte Gesamtklang ergibt.

Im Mittelalter war dem Künstler mehr oder weniger vorgeschrieben, was er darzustellen hatte. Dem Laien, der nicht lesen konnte, sollten Szenen aus dem Alten und Neuen Testament und die Geschichten der Heiligen in Bilderfolgen sichtbar gemacht werden.

Durch die überlieferung hatte sich eine bestimmte Anordnung ergeben, die allen geläufig war, und die das Verständnis erleichterte. So wunderbar mittelalterliche Kirchenfenster als Kunstwerke ersten Ranges auch sind, so war ihr künstlerischer Wert nicht Selbstzweck; sie hatten sich einem höheren unter-zuordnen. Sie standen im Dienste der Verkündigung.

Eben dies wollen auch die Fenster der Kirche von Dorf. Wenn ihr Anliegen auch dasselbe ist, so geschieht es doch in einem andern Geist. Im Mittelpunkt des evangelischen Gottesdienstes steht die Auslegung des Wortes. So hat auch der Künstler das Wort zum Thema seiner Arbeit genommen, und zwar Worte Christi: das Vaterunser.

Die Fensterfolge erzählt also nicht, sondern verkündigt das Wort und erfüllt damit Erfordernisse der evangelischen Auffassung. Sie stellt nicht dar, sondern ruft auf zum Nachbeten. Wie aber kann das Wort sichtbar gemacht werden? Dies ist nur möglich, wenn es durch Symbole ausgedrückt wird. So zeigt jedes der sieben Hauptfenster ein Sinnbild, das mit dem gemeinten Wort übereinstimmt. Der Zyklus beginnt links hinten und entwickelt sich im Uhrzeigersinn. Die einzelnen Fenster stellen symbolisch dar:

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" Dein Name werde geheiligt "

Der brennende Dornbusch der zum Himmel auflodert. Mose lernt Gottes Namen kennen.
2. Mose 3, 1-15

 
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" Dein Reich komme "

Das himmlische Jerusalem, die Gottesstadt die herab kommt.
Offenbarung 21.1 - 22.5

 
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" Dein Wille geschehe wie im Himmel, so auch auf Erden "

Die Schöpfung, wo das Licht über der Urluft aufgeht.
1. Mose 1

 
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" Gib uns heute unser tägliches Brot "

Brot und Wein.
Matthäus 6.11

 
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" Und vergib uns unsere Schulden "

Der Regenbogen nach der Sintflut.
1. Mose 8.20 - 9.17

 
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" Und führe uns nicht in Versuchung "

Die Schlange.
1. Mose 3. 1-7

 
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" Sondern erlöse uns von dem Bösen "

Das Kreuz an dem der Erlöser die Schulden auf sich genommen.
Matthäus 26.28 und 27.31 – 50

 
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Die beiden Rundfenster über der Empore bezeichnen Anfang und Ende: Alpha & Omega.
Offenbarung 1.8 / 21.6 / 22.13
Damit hat sich der Kreis geschlossen.

Die Fenster wollen nicht abbilden. Darum sind sie nicht naturähnlich. Ihre übereinstimmung mit dem gemeinten Wort prägt die Form mehr als ihre Beziehung zum wirklichen Gegenstand. Es genügt, wenn dieser als Symbol noch erkennbar ist, sich aber nicht in den Vordergrund drängt. Er hat hinter dem Wort zu verschwinden, so wie im Gleichnis die Fabel hinter dem Sinn zurücktritt.

Dem Künstler aber geht es nicht bloss um die Aussage, er hat zu verwirklichen und zwar mit den Mitteln, die ihm seine Kunst bietet. Es sind Form, Rhythmus und Klang. Diese müssen sich zu einem Ganzen zusammenfinden.

Die Fenster folgen sich, wie wir es beschrieben haben; sie stehen sich aber auch gegenüber, sind in ihrer Gesamtheit sichtbar und bilden eine Einheit. Sie müssen im Gleichgewicht sein, sich gegenseitig stützen und sich zugleich voneinander abheben, wenn Spannung entstehen soll. Alpha und Omega stehen sich auf der Empore gegenüber, sind beide rund und auf die Grundfarbe blau gestimmt. Es folgen links und rechts der Dornbusch und das Kreuz als aufstrebende Formen, zackig und bewegt das linke, ruhig und fest dastehend das rechte Fenster. Das Neue Jerusalem und die Schlange kommen von oben herab. Hier befinden sich die ruhigen, in sich gefestigten Formen links und die bewegten, lodernden Formen rechts. Es folgen zwei Scheiben, die in sich kreisen, die Schöpfung, wo sich aus dem Wirbel das All bildet, und der Regenbogen, der eine Brücke schlägt von Gott zu den Menschen. Dem Eingang gegenüber, dem Eintretenden unmittelbar zugewandt, steht das Hauptfenster, das kein Gegenstück hat. In ihm heben sich die Bewegungen auf. Der von oben kommende Stahl, der bedeutet, dass das tägliche Brot eine Gabe des Himmels ist, kommt auf der Waagrechten des irdischen Tisches zur Ruhe. Es bestehen aber auch Beziehungen übers Kreuz: Dornbusch und Schlange sind beide lodernd, das Kreuz und das Neue Jerusalem in sich ruhend. Die kleinen Rundfenster entsprechend den kreisenden Formen der Schöpfung und des Regenbogens.

Diese wenigen Hinweise auf Gehalt und Gestalt der Fenster wollen nicht mehr als anleiten zu einer vertieften Betrachtung. Wenn es ihnen gelungen ist, zu zeigen, dass die Fenster der Kirche von Dorf mehr sind als ein blosser Schmuck, dass sie sich in den Dienst des Gotteswortes stellen, dann haben sie ihre Aufgabe erfüllt. Aufgabe des Betrachters ist es nun, sich die Fenster vertraut zu machen, damit er wieder heimisch werde in seiner Kirche.

Gewiss, es hat Mut, dann aber auch Hingabe verlangt, bis es so weit war. Es ist nicht selbstverständlich, dass eine kleine Landgemeinde, sich zu einem derartigen Unternehmen entschliesst. Es ist selten, dass dem Künstler so viel Freiheit gelassen wird, wie es hier geschah. Es ist erfreulich, wie an der Ent-stehung des Werkes Anteil genommen wurde, und es damit zu einem guten Ende kam.

Dr. Paolo Brändl